Es wäre doch möglich gewesen Teil 1 – Vor 77 Jahren: Rosenstraßen Protest 1943

Wer das nationalsozialistische System ablehnte, wurde verhaftet. Wer das System gar öffentlich kritisierte, spielte mit seinem Leben. Diese Analogie gilt immer noch als folgerichtig und wirklich falsch ist sie natürlich auch nicht. Schließlich kennen auch die, die sich nur peripher für das Thema 3. Reich interessieren, Roland Freislers würdeloses Auftreten als Richter oder die Horrorgeschichten, in denen Personen wegen sog. „Wehrkraftzersetzung“ hingerichtet wurden. Eines der bekanntesten Beispiele ist wohl die Schneiderin und Schwester von Erich Maria Remarque, die allein aufgrund einer Aussage, dass der Krieg verloren sei, vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt wurde.

Verhaftung jüdischer Männer in Baden-Baden im November 1938: Nach dem faschistischen antisemitischen Pogrom vom 9./10. November.

Hatte die Nazis also die vollkommene Macht über die Menschen? Sorgte Himmlers und Heydrichs Terrorapparat dafür, dass Protest gegen das Regime niemals über einen Theoriestatus hinaus kam? Die Auffassung diente gerade in den Nachkriegsjahren als Rechtfertigung für fehlenden Widerstand. Diese Reihe soll zeigen, dass Protest gegen das Regime nicht nur möglich, sondern sogar erfolgreich sein konnte und das einige wenige Deutsche den Mut hatten das Regime herauszufordern.

Der erste Teil dieser Reihe soll sich um die vor genau 77 Jahren durch die Gestapo durchgeführte Großaktion drehen, die das Ziel hatte Berlin „Judenfrei“ zu machen. Die letzten  noch in Berlin lebende Juden sollten zu Beginn des Jahres 1943 verhaftet und deportiert wurden. Bei dieser, in der Nachkriegszeit als „Fabrikation“ bezeichneten Aktion (viele der verhafteten Juden leisteten Zwangsarbeit in den Berliner Rüstungsfabriken), wurden auch Ehepartner aus sog. „Mischehen“ verhaftet. Als „Mischehe“ galt unter den Nazis eine Ehe, bei der ein Partner als Jude galt, also mindestens drei jüdische Großeltern hatte. Historisch bedingt war dies meistens der Mann, da eine jüdische Frau die Verbindung zu ihrer Gemeinde verlor, wenn sie einen Christen heiratete.

Am 20. Februar 1943 stellte das Reichssicherheitshauptamt die entsprechenden Deportationsrichtlinien neu auf, die bestimmten, welche der in Berlin lebenden Juden in die Vernichtungslager geschickt werden. Zuständig für die Ausarbeitung war das Judenreferat unter der Leitung Adolf Eichmanns.  Ab dem 27. Februar 1943 wurden daraufhin in Berlin Juden in ihrem Arbeitsstellen oder auch auf offener Straße verhaftet. Die am 1. September 1941 eingeführten Judensterne erleichterten die Verhaftung und Verschleppung auf offener Straße. 

Schließlich wurden 11.000 Juden in Berlin verhaftet. Darunter befanden sich auch ungefähr 2000 Juden aus „Mischehen“ und sog. „Geltungsjuden“, welche in dem Gebäude der jüdischen Gemeinde in der Rosenstraße zusammengepfercht wurden. Diese Gruppe war für die Deportationen in die Konzentrationslager eigentlich ausgenommen gem. den Deportationsrichtlinien. Bereits ab dem 1. März fing man an, die übrigen 9000 Juden zu deportieren. Einige nach Theresienstadt und die Mehrzahl nach Auschwitz. Kaum einer sollte die Lager überleben.

Dieses Schicksal für ihre jüdischen Ehepartner vor Augen veranlasste Hunderte mutige Angehörige dazu, vor dem Gebäude in der Rosenstraße für deren Freilassung zu protestieren. Offener Protest galt im NS-Staat als Novum. Zwar kam es vor allem in den 30er Jahren noch zu Szenen in denen Deutsche für Juden Partei ergriffen bspw. durch Passivität und dem nicht Befolgen des Judenboykotts 1933, offener Protest für Juden und gegen den Staat gab es allerdings (fast) noch nie.  Bereits ab dem 27. Februar versammelten sich die Angehörigen (vorwiegend Frauen) vor dem Gebäude in der Rosenstraße und forderten lautstark die Freilassung der 2000 verhafteten Juden aus Mischehen. Auch an den Tagen darauf ließ der Protest nicht nach und die Protestierenden ließen sich auch von der Schutzpolizei nicht lange aus der Rosenstraße vertreiben. Beim Eingriff der Polizei wurde der Protest in die Nebenstraßen verlagert. Doch die Frauen und Männer kamen immer wieder in die Rosenstraße zurück, auch in den folgenden Tagen. Was genau im Februar und März 1943 in der Rosenstraße passierte, wie groß der Protest war, wie die Polizei oder die SS reagierte und wie er schließlich endete, darüber wird in der Geschichtsliteratur gestritten. Wirklich fassbar sind hauptsächlich Zeitzeugenberichte, die hinsichtlich ihrer Wahrheit und Genauigkeit allerdings stark variieren.

So ist es nicht sicher, ob es bspw. In der Rosenstraße Verhaftungen unter den Demonstranten gab, um den Protest zu ersticken. Dass dies aber im Rahmen des Möglichen liegt, zeigt ein Bericht Margarete Sommers über eine andere Deportation im  August 1942: 

„in Berlin zu Unruhen gekommen, da die Bevölkerung in scharfer Weise Stellung genommen hatte gegen diese unmenschliche Art des Transportes. Es fanden anlässlich dieser Unruhen auch Verhaftungen statt. Die Tatsache dieser Unruhen wird mit strengstem Stillschweigen behördlicherseits übergangen“

Selbst wenn diese Aussagen nicht stimmen würden, müssen die Demonstranten in der Rosenstraße zumindest fest damit gerechnet haben, dass ein Staat wie der Nationalsozialistische, der ihre Ehepartner pausenlos verhöhnt,  ausbeutet und herabwürdigt auch sie jeden Moment verhaften und in Konzentrationslager stecken könnte.  Womit die Demonstranten auch gerechnet haben müssen ist, dass sie sich mit ihrem Protest ganz unmittelbaren Gefahren aussetzen. Mehrere Zeitzeugen berichten davon, dass vor dem Gebäude in der Rosenstraße Maschinengewehre aufgebaut wurden. Wollte die SS notfalls den Protest niedermähen?

Die Reaktion der NS-Diktatur zeigt allerdings auch eines sehr deutlich: Sie hatte Angst. Im Umgang mit Protesten gegen den Staat gab es keine einheitliche Linie. Vielmehr rangen die unterschiedlichen Behörden, Strukturen und Einzelpersonen um Autorität und Befehlshoheit. Dieses Gewirr aus Strukturen und Zuständigkeiten hatte sich schon zu Beginn der NS-Diktatur als schwer zu beherrschen entpuppt. Aber in Kriegszeiten, spätestens seit Beginn des Ostfeldzuges 1941, offenbarte sich noch ein großer Nachteil. Durch die unterschiedlichen Akteure konnte sich die Führung kaum auf eine einheitliche Linie festlegen. In den 30er Jahren gab es für die Nazis beim Aufbau ihrer Diktatur dagegen noch klare Linien, an denen man sich orientieren konnte. Kommunisten, Sozialisten, Gewerkschaftler und Juden waren die Feinde. Diese konnte man einfach wegsperren oder vertreiben.  1942 bzw. 1943 wusste der Staat allerdings nicht mehr, ob man es sich noch leisten kann die durch Bomben geplagte Heimatfront durch rigorose Maßnahmen gegen sich aufzubringen. Man hatte 1933 schon gesehen, dass die Deutschen in der Mehrheit beim Boykott jüdischer Geschäfte nicht mitmachten. Offene Gewalt gegen Juden wurde zu der damaligen Zeit noch nicht flächendeckend akzeptiert. Deshalb wurde der Boykott 1933 nach wenigen Tagen abgebrochen. Zwar hatte sich die Gesellschaft in den 10 Jahren geändert und sich auch durchaus radikalisiert und an Empathie verloren, offenen Protest hätte man sich allerdings nicht leisten können. So ist es nicht verwunderlich, dass die Polizei und die SS den Rosenstraßen-Protest nicht gewaltsam niedergeschlagen haben wie es in einer Diktatur wie der damaligen denkbar gewesen wäre. So ist es auch nicht verwunderlich, dass über die Proteste ein Jahr zuvor, von denen Margarete Sommer erzählt, Stillschweigen beschlossen wurde. Für den Staat war das Risiko viel zu hoch, in dieser entschiedenen Kriegsphase die Heimatfront gegen sich aufzubringen. Schließlich ging gerade in Stalingrad die 6 Armee unter, die Heeresgruppen A und B brachen zusammen und der „Fall Blau“, die deutsche Sommeroffensive die 1942 begonnen hatte, war gescheitert. Vor dieser Erkenntnis ist es fast schon tragisch, sich die Frage zu stellen: Was wäre zu dieser Zeit noch möglich gewesen?


Den Rosenstraßen-Protest auf die Frauen  und Männer vor Ort zu beschränken greift zu kurz. Eine wichtige Rolle spielte hier u. a. die katholische Kirche. Die bereits mehrfach erwähnte Margarete Sommer, war eine katholische Sozialarbeiterin, die sich in Berlin um das Schicksal von Katholiken jüdischer Herkunft kümmerte und durch ihre Arbeit viele Juden vor der Ermordung rettete. In dieser Aufgabe berichtete sie am 2. März 1943 Kardinal Adolf Bertram von der Verhaftung der in „Mischehen“ lebenden Juden. Bertram, der im Umgang mit dem Nationalsozialisten teilweise eine stark passive Rolle einnahm, bewies in diesem Fall allerdings Haltung und protestierte noch am selben Tag u. a. beim Reichsjustizministerium, RSHA und in der Reichskanzlei. Bischof Heinrich Wienken, damals Leiter des Bischöflichen Kommissariats, begab sich auf Anweisung Bertrams in das RSHA und legte am 4. März Protest bei Eichmann gegen die Verhaftungen ein. Eichmann selbst gab an, dass gar keine Deportation von Juden aus „Mischehen“ und „Geltungsjuden“ geplant sei. Inwieweit dies stimmt ist, wie vieles zu Rosenstraße umstritten. So existieren bspw. Aussagen von Inhaftierten, welche am 2. März entlassen wurden mit einem Entlassungsschreiben, welches auf den 5. März vordatiert war. War es also geplant alle Juden in der Rosenstraße am 5 März zu entlassen? Gegen diese These sprechen allerdings Entlassungspapiere, welche korrekt datiert sind. Ebenfalls existieren widersprüchliche Angaben dazu, wer am Ende die Aktion beendete. War es Goebbels, der in sein Tagebuch am 6. März schrieb: 

„Gerade in diesem Augenblick [nach schweren Zerstörungen durch Bombenangriffe] hält der SD es für günstig, in der Judenevakuierung fortzufahren. Es haben sich da leider etwas unliebsame Szenen vor einem jüdischen Altersheim abgespielt, wo die Bevölkerung sich in größerer Menge ansammelte und zum Teil sogar für die Juden Partei ergriff. Ich gebe dem SD Auftrag, die Judenevakuierung nicht ausgerechnet in einer so kritischen Zeit fortzusetzen. Wir wollen uns das lieber noch einige Wochen aufsparen; dann können wir es umso gründlicher durchführen.“?

Oder war es Kaltenbrunner, Leiter des RSHA, oder gar Hitler? Welche Rolle spielte Eichmann und die Gestapo um Himmler? Oder war eine Deportation der in „Mischehe“ lebenden Juden tatsächlich gar nicht geplant?

Am Ende sollten wir uns auf die Fakten beschränkten. Ab dem 27. Februar wurden die letzten in Berlin lebenden Juden ohne Ankündigung verhaftet und verschleppt. Für viele bedeutete das den sicheren Tod. Unter den Verhafteten waren auch 2000 Juden aus sog. „Mischehen“, die in der Rosenstraße festgehalten wurden. Dagegen protestierten mutige Angehörigen auch unter der Gefahr für ihr eigenes Leben.

Am Ende wurden ab dem 2. März die verhafteten Juden aus der Rosenstraße nacheinander entlassen. Selbst eine Gruppe von 25 Inhaftierten, die bereits in das KZ Auschwitz III deportiert wurden, wurden zurückgeholt.  Wahrscheinlich wurden am Ende alle 2000 Juden freigelassen.

Für die Beurteilung des Protestes ist es auch völlig irrelevant, ob eine Deportation geplant war oder ob die Juden nur solange inhaftiert werden sollten, bis ihre Daten überprüft waren. Für die geschichtliche Einordnung ist es auch absolut irrelevant, ob Demonstranten verhaftet wurden und ob und wie lange Maschinengewehre vor ihnen aufgebaut wurden. Das alles sind historische Einzelheiten, die für die Forschung von Bedeutung sind. Für die Ausstrahlungskraft des Protestes sind sie es allerdings nicht. Am Ende ist nur eines von Bedeutung: Der Protest existierte und das trotz oder gerade wegen der aktuellen Kriegslage und trotz einer unmenschlichen Diktatur, bei der Juden und auch deren (arische) Ehepartner kaum einen Wert hatten und als „Rasseschänder“ diffamiert wurden. Die Angehörigen wussten nicht, was sich hinter den Kulissen abspielte und ob ihre Angehörigen wieder frei kommen oder „in den Osten“ deportiert werden. Sie wussten nur, dass was sie sahen und das waren Züge die Richtung Osten voll abfahren und stets leer wiederkommen und dieses Schicksal wollten sie für ihre inhaftierten Angehörigen in der Rosenstraße um jeden Preis verhindern.

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